
Führt die technologische Innovation beim Online-Dating zu einem Inimitätsverlust? Ein Artikel der Vanity Fair legt diese Annahme nahe. Binnen weniger Sekunden können wir bei Tinder über einen potenziellen Partner entscheiden – vollkommen ohne auch nur ansatzweise eine Ahnung über den Hintergrund der Person zu haben. Ein Profil gibt es nicht, nur ein Bild, das bei Gefallen nach rechts, bei Missfallen nach links gewischt wird. Während es bei Tinder und Online-Dating Plattformen offiziell nicht nur um Sexdates geht, ist z.B. POPPEN.de ganz explizit für die Suche nach Sexpartnern ausgelegt. Doch auch bei Tinder stellt die lange Beziehung doch eher den ganz starken Ausnahmefall dar. Die Mehrheit der Teilnehmer sucht ein sexuelles Abenteuer, schlicht Ablenkung oder etwas Neues.
Möglichst keine Verpflichtung und wenig Aufwand – das könnte als Slogan fast aller dieser Plattformen herhalten. Doch was macht das psychologisch mit uns? Wie ändert die Existenz dieser Plattformen unser Verhalten und unsere Einstellungen? Kann überhaupt noch so etwas wie eine intime Beziehung entstehen?
Die neue Oberflächlichkeit durch Online-Dating
Natürlich geht es auch bei Tinder und POPPEN.de um mehr als einen reinen Wisch oder Klick: in Chats muss die begehrte Person zu einem Treffen überzeugt werden. Das kappt mal schneller, mal gar nicht. Natürlich kann in einem Chat die Basis für eine langlebige und intime Beziehung zueinander gelegt werden. Wir befinden uns nicht mehr Anfang der 90er, in denen neuen Medien eine solche Fähigkeit zur Intimität abgesprochen wurde. Das ist Unsinn. Dennoch hat sich unser Datingverhalten ganz grundlegend verändert.
Eine Meinungsverschiedenheit? Eine störende Macke des Gegenübers? Bevor das als liebenswürdige Eigenschaft geschätzt werden kann, reicht ein Blick aufs Handy aus, um innerhalb von Sekunden eine Alternative zu finden. Wir mutieren Stück für Stück und größtenteils ohne es zu merken zu Prolls in Clubs, die den Abend über innerhalb von Minuten von einer Frau zur nächsten ziehen, bis sie eine finden und mit nach Hause nehmen. Und das Spiel dann am nächsten Abend wiederholen. Nur, dass wir uns keinen Meter mehr bewegen müssen und niemandem unangenehm auffallen – auch uns selbst nicht.
„That’s the Game“, wie man so sagt. Gerade in den USA, aber inzwischen auch in Deutschland, sind die Effekte davon bereits bekannt: Status beim Online-Dating hat, wer möglichst viele möglichst schnell abschleppt. 100 Partner in einem Jahr? Was soll’s. Merkt ja keiner. Man trifft die Leute nicht im gleichen Club wieder, sie zählen nicht zum eigenen Freundeskreis. Man ist jung und will Spaß. Daran ist nichts verkehrt. Die Oberflächlichkeit der Interaktion aber verändert uns.
Dating & Sex: Schneller, einfacher, problematischer.
Über Online-Dating Plattformen wird es unfassbar einfach jemanden zum Sex zu finden. Wenn es so einfach und so verfügbar ist, warum damit aufhören? Wenn man jemanden zum Sex treffen kann mit 20 Minuten Aufwand, warum das nicht ausnutzen? Wer früher fremdgehen wollte, wer früher eine Partnerin finden wollte, der musste sich umschauen. Er musste im Alltag oder am Wochenende beim Feiern jemanden kennenlernen. Er muss etwas von sich preisgeben und einen persönlichen Kontakt aufbauen.
Klar, auch damals gab es sie schon: Die oberflächlichen Typen und Frauen, die nur auf Sex ausgerichteten Lebensphasen. Doch heute nehmen sie Überhand. Die technologischen Möglichkeiten des Online-Dating verändern uns. Sie machen uns oberflächlicher. Wir stellen uns darauf ein, dass es beim Online Dating um wenig anderes geht. Bei POPPEN.de ist das ohnehin klar: Es geht um Sex. Es geht nicht um Intimität, die in diesem Kontext eben wenig mit Sex zu tun haben muss.
Verlust von persönlichen Beziehungen und der eigenen Bindungsfähigkeit
Was dabei auf der Strecke bleibt, sind persönliche Beziehungen und die eigene Bindungsfähigkeit. Charaktereigenschaften werden unterdrückt und ignoriert. Alles, was dabei hilft, die betreffende Person aufzureißen, wird kultiviert und gepflegt. Oftmals stellt sich dann gerade bei den erfolgreichsten Nutzern nach einer Weile heraus: Die Fähigkeit zu einer langfristigen Beziehung, die nötige Geduld und das nötige Verständnis geht verloren. Es wird nahezu unbewusst abtrainiert.
Die Verkuppelungs- und Aufreißkultur hat sich über fast ein Jahrhundert hinweg etabliert und ausgeweitet. Niemand will zu der Zeit der arrangierten Hochzeiten und der Keuschheit zurück. Tinder und Online-Dating Plattformen haben diese Kultur aber zu einem neuen Standard angehoben, der nie zuvor existierte. „Bock zu ficken?“ über einen Chat kann zum Erfolg führen. Man guckt, wie weit weg der andere wohnt, tauscht ein paar Worte aus und trifft sich zum Sex. Das ist revolutionär.
Problematisch wird es, wenn im Leben der Online-Dating – Nutzer dann aber etwas auf der Strecke bleibt. Dauerhaft fehlende Intimität stumpft einen ab. Sie nimmt unter Umständen die Fähigkeit zu einer langlebigen Beziehung. Und gerade das ist es, was doch am Ende oft gesucht wird: Die richtige Beziehung, Verbundenheit, Vertrauen und Intimität. Zumindest wenn es auf die 30 oder gar die 40 zugeht.